Samstag, 29. Januar 2011

Sapere aude!

Für alle die Latein nicht in der Schule hatten – „Wage es, weise zu sein!“. Warum ich das grad schreibe? Nun ich hab es in der Schule gelernt und hab noch nie so richtig einen Platz gefunden, um es anzuwenden. Mein Lateinlehrer lies uns damals weit über 300 (!) lateinische Sprüche auswendig (!) lernen. Warum? Damit wir was vortragen konnten wenn mal jemand wissen wollte wie Latein klingt. Wenn ich ehrlich bin, mich hat niemand gefragt. Und ich habe auch nie zwanghaft versucht, irgendwelche Worte oder Wortgruppen in das tägliche Leben einfließen zu lassen nur um intelligenter zu wirken. Warum auch? Aber ich hätte es machen sollen, denn es scheint ein neuer Trend zu sein. Gerade im Bereich Studium. Meine Lebensgefährtin fängt gerade mit einem Studium an. Soziale Arbeit. Nein, nicht Sozialarbeit. Das ist ein neuer Kombistudiengang der einem ein recht breit gefächertes Einsatzgebiet nach dem Studium ermöglicht.
Nach den ersten Studientagen kam meine Lebensgefährtin,  recht geknickt nach Hause. Zur Erklärung vorab, sie ist sehr schlau und hat eine gute Allgemeinbildung, aber bei den ersten Vorlesungen fühlte sie sich dann doch recht deplatziert. Sie erzählte mir, dass in den Vorlesungen Wörter gefallen sind, die sie noch nie in ihrem Leben gehört hat. Schlimmer war dann nur noch, dass auch Ihre Kommilitonen dieselben Fremdworte verwendeten und das dann auch selbstverständlich. Wie zum Beispiel: Hermeneutik. Noch nie gehört? Ich auch nicht. Seit Studienbeginn wurde ein Fremdwörterbuch unser stetiger Begleiter. Jede Woche tauchte ein neues, gänzlich unbekanntes Wort auf, das von Professoren und Kommilitonen in jeder erdenklichen Situation und Form genutzt wurde. Nochmal zurück zur Hermeneutik. Das ist altgriechisch und bedeutet Gedanke. Es benennt eine Theorie über das Verstehen. Man kann es ganz grob auch als eine Interpretation von etwas beschreiben. Also man kann sagen, ich interpretiere. Ist ja auch ein Fremdwort, aber viele kennen es mittlerweile – quasi nicht trendy  genug. Nachdem wir Deutschen festgestellt haben, dass unsere schöne Sprache von Anglizismen bedroht wird und auf dem Weg waren dieses Phänomen zu stoppen, werten wir sie nun durch altgriechische Worte auf. Schon klar!
Und nun bedenke man, dass ein Student gleich welcher Fachrichtung, 3 bis 6 Jahre nur in einer Umgebung zu tun hat, die durch altgriechische und lateinische Wörter durchflutet ist. Irgendwann soll er dann auf die Menschheit losgelassen werden und  einem Ottonormal-Bürger etwas erklären. Kein Wunder, dass wir unsere Ärzte, Rechtsanwälte, Psychologen oder auch Soziologen nicht verstehen. Wir versauen sie ja. Wir gewöhnen es ihnen ab, normales Deutsch zu sprechen. Ich meine ist das etwa anrüchig wenn ich meinen Arzt verstehe, wenn er mir eröffnet das ich Krebs habe und nur noch 3 Monate zu leben habe? Fände ich jetzt gut, wenn ich das genau wüsste. Es muss ja keine Umgangssprache sein, einfach nur ein normales, gut verständliches Deutsch.
Jetzt bleibt nur noch die Frage, wie sich die Situation beim Studium beruhigt hat. Nun zum einen bin ich der Überzeugung, dass ein Professor der etwas von seinem Fachgebiet versteht, auch durchaus in der Lage ist sein Wissen verständlich weiter zu geben. Nur wer in der Lage ist, Komplexes einfach auszudrücken, hat es selbst verstanden. Das lasse ich jetzt an dieser Stelle wertungsfrei stehen.
Weiterhin haben es einige dieser superklugen Kommilitonen geschafft, sich selbst bloßzustellen. Während auf eine Behörde wert darauf gelegt wird, Texte zu verkomplizieren in dem man möglichst viele Worte substantiviert, ist es manchmal nötig, unbekannte Substantive in Verben zu verwandeln. Sie ahnen es schon. Nehmen wir wieder mein Lieblingswort: Hermeneutik. Das Verb dazu wäre laut dem Fremdwörterbuch: hermeneùein. Aber wenn dann ein ach so gebildeter Mensch hermeneutiziert oder hermeneutikiert, da interpretiere ich doch lieber fröhlich weiter.
Streng nach dem Motto: „Si tacuisses, philosophus mansisses!“    

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